Klärung durch das Bundesgericht: Gras und Hasch behalten

Das Bundesgericht hat im Juli 2023 einen Entscheid veröffentlicht, der eine schon länger offene juristische Frage klärt: Wer 10 Gramm Cannabis für den eigenen Konsum erwirbt und besitzt, bleibt nicht nur straffrei, sondern kann diese Menge auch behalten.

Die Polizei darf diese geringfügige Menge also nicht einziehen, ausser sie beobachtet auch den Konsum. Dann kann sie das Material sicherstellen und eine Ordnungsbusse (OB) über 100 Franken ausstellen.

Die Klärung einer alten Frage

Anfang 2013 hatte ich für die 9. Auflage ­unseres Shit happens die neuen Bestimmungen des BetmG analysiert, die per ­Oktober 2013 dann in Kraft traten.

Dabei ging es vor allem um die Einführung der OB für polizeilich beo­bachteten Cannabiskonsum, aber auch um die konkrete grammmässige Definition der straffreien, geringfügigen Menge ­Cannabis auf 10 Gramm.

Unsere Meinung war immer: Der Besitz einer geringfügigen Menge für den eigenen Konsum ist laut Gesetz keine Straftat, also kann dieses Verhalten auch nicht bestraft werden.

Da die Kommission, die diese Änderung beraten hatte, in ihrem Kommissionsbericht schrieb, dass eine solche Menge, ­solange nur mitgeführt, auch nicht beschlagnahmt werden könne, schlossen wir uns dieser sinnvollen Meinung an. Schliesslich sollte mit dieser Änderung ja eine ­Entkriminalisierung erreicht werden.

Im Fall eines beobachteten Konsums hingegen wäre der Konsum mit einer OB ­bestraft worden – und dann hätte das ­Material auch eingezogen werden können.

Die Polizeien sahen es anders

Nach der Einführung dieser neuen Bestimmungen merkten wir schnell, dass die Strafbehörden gar keine Lust hatten, die Bestimmungen wie von uns interpretiert anzuwenden. Sie erteilten OB auch für das blosse Mitführen von unter 10 Gramm und sie zogen den Hasch und das Gras auch immer ein. Ich erinnere mich, dass mich das sehr geärgert hatte. Vor allem die ­Bestrafung einer Tat, die laut Gesetz zwingend straffrei ist, nervte mich sehr! Wie sollte das rechtsstaatlich möglich sein?

Bundesgericht zum Ersten und Zweiten

2017 gelangte dann der erste solche Fall vor Bundesgericht und dieses stellte fest, dass es eben doch so ist: Etwas, das straffrei ist, darf halt nicht bestraft werden. Eine Binsenwahrheit in einem Rechtsstaat! Erst dann begannen die Polizeien, dies auch so zu handhaben (und die Anzahl der OB brach komplett zusammen, siehe Statistik-Grafiken).

Allerdings wurde das Material weiterhin beschlagnahmt. Diese Frage wollte das Bundesgericht in seinem Entscheid von 2017 leider nicht klären.

2019 folgte dann in einem weiteren Entscheid, dass diese Straflosigkeit auch für Jugendliche gilt. Das war eigentlich von ­Anfang an klar, aber die Jugendanwaltschaft Zürich musste davon erst vom ­Bundesgericht überzeugt werden.

Bundesgericht zum Dritten

Nun, im Juli 2023, hat das Bundesgericht einen Entscheid dazu veröffentlicht, ob denn nun eine geringfügige Menge, ohne beobachteten Konsum, eingezogen werden darf. Das Bundesgericht fand dafür klare Worte: Nein, die Polizei muss die paar Gramm den Betroffenen belassen.

Zehn Jahre nach Inkrafttreten dieser Ent­kriminalisierungsschritte ist nun endlich geklärt, wie sie zu verstehen sind. Bei aller Freude über diesen Entscheid ist es schon auch betrüblich, wie lange es gebraucht hat, bis unsere Einschätzung offiziell bestätigt wurde. Auf alle Fälle ist es aber eine grosse Genugtuung, nach zehn Jahren darin vom Bundesgericht bestätigt zu ­werden!

Ein langer juristischer Weg

Der Betroffene hatte sich 2019 bei unserer Rechtsauskunft gemeldet: Er sollte 1’700 Franken für ein paar Gramm bezahlen: ein krasser Strafbefehl. Wir haben dann alles getan, damit der Weiterzug dieses Falles möglich wurde: Vermittlung eines an diesem Thema interessierten Juristen sowie von Kontakten für eine Defizitgarantie. Es freut uns sehr, dass alle Beteiligten über vier Jahre drangeblieben sind und nicht aufgegeben haben!

Ein Monitoring für die Folgen

Nun stellt sich als Erstes die Frage: Halten sich die vielen Polizeien und Staatsanwaltschaften an diesen Bundesgerichtsentscheid? Macht auch der Zoll dabei mit? Wir würden gerne möglichst viele Fälle sehen und wer immer etwas dazu erfährt: Bitte melden. Nur wenn wir viele Fälle sehen, können wir einschätzen, wie dieses höchstrichterliche Urteil nun in den Niederungen der konkreten Strafverfolgung ankommt – oder allenfalls auch nicht.

Neue Fragen zur Abklärung

Es gibt weitere Felder, bei denen sich ein genaueres Hinschauen lohnen könnte:

  • Was macht der Zoll, wenn sich jemand sieben Gramm aus den USA bestellt? Lässt er diese nun durch?
  • Dürfen Konsumierende nun einige Hanfsamen besitzen, wenn sie nur eine ­geringfügige Menge produzieren wollen?
  • Das Bundesgericht hat auch immer wieder erwähnt, dass der Konsum von geringfügigen Mengen eigentlich auch nicht bestraft werden sollte (auch wenn das möglich und gängige Praxis ist). Wollen wir versuchen, die nötigen Mittel zu sammeln, um einen solchen Fall bis vor Bundesgericht zu ziehen?
Zuletzt geändert: 2023/12/22 21:16

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