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thc_recht:entwicklung_ordnungsbussen [2016/09/25 18:38] – gezügelt fabian | thc_recht:entwicklung_ordnungsbussen [2023/12/22 21:16] (aktuell) – Externe Bearbeitung 127.0.0.1 | ||
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====== Sommer 2014: Die Ordnungsbussen sind Wirklichkeit ====== | ====== Sommer 2014: Die Ordnungsbussen sind Wirklichkeit ====== | ||
- | Total wurden in den drei Monaten Oktober bis Dezember 2013 2'198 Ordnungsbussen wegen Cannabis-Konsums ausgestellt ([[http:// | + | Total wurden in den drei Monaten Oktober bis Dezember 2013 2'198 Ordnungsbussen wegen Cannabis-Konsums ausgestellt ([[https:// |
Allerdings muss man sehen: Die normalen Verzeigungen sind bei über 50'000 angelangt, was die Ordnungsbussen eher zu einem Randthema macht, auch wenn man sie auf ein ganzes Jahr hochrechnet. Die Statistik 2014 wird wohl zeigen, wie sich diese Zahlen weiterentwickeln. | Allerdings muss man sehen: Die normalen Verzeigungen sind bei über 50'000 angelangt, was die Ordnungsbussen eher zu einem Randthema macht, auch wenn man sie auf ein ganzes Jahr hochrechnet. Die Statistik 2014 wird wohl zeigen, wie sich diese Zahlen weiterentwickeln. | ||
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Ordnungsbussen für Cannabiskonsum sind seit Oktober 2013 schweizweit möglich. Die Kantone hatten die neuen Bestimmungen aber noch umzusetzen. Schliesslich mussten die Polizeien das Gesetz anwenden. Wie interpretieren diese das geänderte BetmG im Alltag? | Ordnungsbussen für Cannabiskonsum sind seit Oktober 2013 schweizweit möglich. Die Kantone hatten die neuen Bestimmungen aber noch umzusetzen. Schliesslich mussten die Polizeien das Gesetz anwenden. Wie interpretieren diese das geänderte BetmG im Alltag? | ||
- | ==== Die Umsetzung braucht Zeit ==== | + | ===== Die Umsetzung braucht Zeit ===== |
Einen kompletten Überblick über die Situation in allen Kantonen können wir noch nicht geben. Dafür haben wir bis jetzt zu wenige Fälle dokumentiert. Doch es ist klar, es werden Ordnungsbussen verteilt, auch wenn einige Kantone erst am 1. Januar 2014 damit angefangen haben. Allerdings gibt es immer noch Verzeigungen für Taten, die mit Ordnungsbusse geahndet werden könnten... Das Bild ist noch nicht klar. | Einen kompletten Überblick über die Situation in allen Kantonen können wir noch nicht geben. Dafür haben wir bis jetzt zu wenige Fälle dokumentiert. Doch es ist klar, es werden Ordnungsbussen verteilt, auch wenn einige Kantone erst am 1. Januar 2014 damit angefangen haben. Allerdings gibt es immer noch Verzeigungen für Taten, die mit Ordnungsbusse geahndet werden könnten... Das Bild ist noch nicht klar. | ||
- | ==== Der Inhalt in Kurzform ==== | + | ===== Der Inhalt in Kurzform |
Wir gehen davon aus, dass es aktuell folgende Stufen der Illegalität gibt: | Wir gehen davon aus, dass es aktuell folgende Stufen der Illegalität gibt: | ||
- | * quasi legaler Besitz bis 10 Gramm, ohne Konsum | + | * quasi legaler Besitz bis 10 Gramm, ohne Konsum |
- | * wenig illegaler Konsum vor Polizeiaugen und Besitz bis 10 Gramm ➡ Ordnungsbusse 100 Franken | + | * wenig illegaler Konsum vor Polizeiaugen und Besitz bis 10 Gramm ⇒ Ordnungsbusse 100 Franken |
- | * normal illegaler Konsum und Besitz für Eigenbedarf | + | * normal illegaler Konsum und Besitz für Eigenbedarf |
- | * stark illegale Weitergabe und Verkauf | + | * stark illegale Weitergabe und Verkauf |
- | ==== Vom Gesetzestext zur polizeilichen Praxis ==== | + | ===== Vom Gesetzestext zur polizeilichen Praxis |
Der Gesetzestext ist letztlich nur bedingt relevant. Zentral ist, wie die Polizei in konkreten Fällen vorgeht (und in einem zweiten Schritt, wie die Gerichte die Fälle beurteilen, falls sie überhaupt angerufen werden). Da waren wir nun gespannt, wie die Umsetzung laufen würde. Vor allem, dass der blosse Besitz einer geringfügigen Menge (10 Gramm) Cannabis nicht strafbar ist, würde den Untersuchungsbehörden gar nicht gefallen, das war unsere These. Und diese Straflosigkeit gilt ja auch nur für die Vorbereitungshandlungen bis zum Konsum. Wir hätten gedacht (und im Shit happens 9 auch so geschrieben), | Der Gesetzestext ist letztlich nur bedingt relevant. Zentral ist, wie die Polizei in konkreten Fällen vorgeht (und in einem zweiten Schritt, wie die Gerichte die Fälle beurteilen, falls sie überhaupt angerufen werden). Da waren wir nun gespannt, wie die Umsetzung laufen würde. Vor allem, dass der blosse Besitz einer geringfügigen Menge (10 Gramm) Cannabis nicht strafbar ist, würde den Untersuchungsbehörden gar nicht gefallen, das war unsere These. Und diese Straflosigkeit gilt ja auch nur für die Vorbereitungshandlungen bis zum Konsum. Wir hätten gedacht (und im Shit happens 9 auch so geschrieben), | ||
- | ==== Die ersten Fälle ==== | + | ===== Die ersten Fälle |
Es war denn auch erstaunlich, | Es war denn auch erstaunlich, | ||
- | ==== Der Dienstbefehl der Kantonspolizei Zürich ==== | + | ===== Der Dienstbefehl der Kantonspolizei Zürich |
Die Lösung fand sich, als eine Kopie des Dienstbefehls der KaPo Zürich auftauchte. Es ist nur eine Kopie des Textes, ohne Briefkopf/ | Die Lösung fand sich, als eine Kopie des Dienstbefehls der KaPo Zürich auftauchte. Es ist nur eine Kopie des Textes, ohne Briefkopf/ | ||
In diesem Dienstbefehl, | In diesem Dienstbefehl, | ||
- | * Beobachteter Konsum ohne Besitz | + | * Beobachteter Konsum ohne Besitz |
- | * Beobachteter Konsum mit Besitz bis zu 10 Gramm ➡ Ordnungsbusse | + | * Beobachteter Konsum mit Besitz bis zu 10 Gramm ⇒ Ordnungsbusse |
- | * Beobachterer Konsum und Besitz über 10 Gramm ➡ Anzeige im ordentlichen Verfahren. (Wenn Besitz für Eigenkonsum, | + | * Beobachterer Konsum und Besitz über 10 Gramm ⇒ Anzeige im ordentlichen Verfahren. (Wenn Besitz für Eigenkonsum, |
- | * Besitz bis zu 10 Gramm Cannabis NICHT zum Eigenkonsum | + | * Besitz bis zu 10 Gramm Cannabis NICHT zum Eigenkonsum |
- | * Besitz bis zu 10 Gramm zum Eigenkonsum | + | * Besitz bis zu 10 Gramm zum Eigenkonsum |
- | ==== Vergleich mit unserer Interpretation ==== | + | ===== Vergleich mit unserer Interpretation |
Alle Punkte stimmen mit unserer Interpretation überein, nur der letzte Punkt, der scheint uns falsch umgesetzt zu sein. Der blosse Besitz bis zu 10 Gramm ist halt einfach straffrei. Die Gründe: | Alle Punkte stimmen mit unserer Interpretation überein, nur der letzte Punkt, der scheint uns falsch umgesetzt zu sein. Der blosse Besitz bis zu 10 Gramm ist halt einfach straffrei. Die Gründe: | ||
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Nun, Ordnungsbussen werden verteilt, aber die grundsätzlichen Relativierungen der Strafbarkeit sind bei den Repressionsorganen einfach nicht angekommen, auch wenn die Kommission anscheinend meint, sie würden angewendet... | Nun, Ordnungsbussen werden verteilt, aber die grundsätzlichen Relativierungen der Strafbarkeit sind bei den Repressionsorganen einfach nicht angekommen, auch wenn die Kommission anscheinend meint, sie würden angewendet... | ||
- | ==== Das Gesetz hat einen Fehler? ==== | + | ===== Das Gesetz hat einen Fehler? |
Das ganze Gesetz mag unlogisch sein, aber wenn man es auseinandernimmt, | Das ganze Gesetz mag unlogisch sein, aber wenn man es auseinandernimmt, | ||
- | ==== Was würde ein Gericht dazu sagen? ==== | + | ===== Was würde ein Gericht dazu sagen? |
Nun wäre es sehr spannend zu sehen, was die Gerichte, speziell das Bundesgericht zu diesen Interpretationen meint. Doch wer mag sich schon wegen einer Ordnungsbusse von 100 Franken durch den juristischen Dschungel kämpfen? Im Prinzip müsste man freigesprochen werden, aber eben: Wenn nur irgend ein sonstiger Konsum doch noch bewiesen werden kann, bleibt man verurteilt und die Kosten steigen rasant. Von der ganzen Zeit und den Nerven mal abgesehen. Doch irgendwann wird jemand dieses Vorgehen anfechten – es ist einfach eine zu absurde Interpretation. | Nun wäre es sehr spannend zu sehen, was die Gerichte, speziell das Bundesgericht zu diesen Interpretationen meint. Doch wer mag sich schon wegen einer Ordnungsbusse von 100 Franken durch den juristischen Dschungel kämpfen? Im Prinzip müsste man freigesprochen werden, aber eben: Wenn nur irgend ein sonstiger Konsum doch noch bewiesen werden kann, bleibt man verurteilt und die Kosten steigen rasant. Von der ganzen Zeit und den Nerven mal abgesehen. Doch irgendwann wird jemand dieses Vorgehen anfechten – es ist einfach eine zu absurde Interpretation. | ||
Verteidigt wird diese Interpretation auf verschiedene Arten: Der Kauf zum Beispiel sei durch den Paragrafen nicht erfasst (er erfasse quasi nur das Mischen), also werde eben der Kauf bestraft. (Sinnlose Argumentation: | Verteidigt wird diese Interpretation auf verschiedene Arten: Der Kauf zum Beispiel sei durch den Paragrafen nicht erfasst (er erfasse quasi nur das Mischen), also werde eben der Kauf bestraft. (Sinnlose Argumentation: | ||
- | ==== Das Positive daran ==== | + | ===== Das Positive daran ===== |
Aber man kann es auch positiv sehen: Der Dienstbefehl der KaPo Zürich verletzt zwar das Gesetz, aber er zwingt die Polizei bei Besitz bis 10 Gramm eine Ordnungsbusse zu geben – und nicht etwa weitere Ermittlungen aufzunehmen, | Aber man kann es auch positiv sehen: Der Dienstbefehl der KaPo Zürich verletzt zwar das Gesetz, aber er zwingt die Polizei bei Besitz bis 10 Gramm eine Ordnungsbusse zu geben – und nicht etwa weitere Ermittlungen aufzunehmen, | ||
- | ==== Das Gesetz ist der Fehler! ==== | + | ===== Das Gesetz ist der Fehler! |
Die Behörden hätten es jedoch auch anders machen können: Wenn jemand in der Öffentlichkeit konsumiert, dann gibt man ihm oder ihr halt eine Ordnungsbusse. Wer jedoch bei einer Kontrolle nur bis zu 10 Gramm transportiert, | Die Behörden hätten es jedoch auch anders machen können: Wenn jemand in der Öffentlichkeit konsumiert, dann gibt man ihm oder ihr halt eine Ordnungsbusse. Wer jedoch bei einer Kontrolle nur bis zu 10 Gramm transportiert, | ||
Das alles wäre mit dem GELTENDEN Gesetz möglich, aber die Behörden wollen das nicht. Sie versuchten nie, die durchaus vorhandenen Relativierungen der Illegalität anzuwenden. Das kommt nun auch wieder im neuen Zürcher Dienstbefehl klar zum Ausdruck. Deshalb kann man es drehen und wenden wie man will: Das Gesetz ist der Fehler! Das grundsätzliche Verbot muss weg. Diese Spielwiese der Repression muss geschlossen werden. | Das alles wäre mit dem GELTENDEN Gesetz möglich, aber die Behörden wollen das nicht. Sie versuchten nie, die durchaus vorhandenen Relativierungen der Illegalität anzuwenden. Das kommt nun auch wieder im neuen Zürcher Dienstbefehl klar zum Ausdruck. Deshalb kann man es drehen und wenden wie man will: Das Gesetz ist der Fehler! Das grundsätzliche Verbot muss weg. Diese Spielwiese der Repression muss geschlossen werden. | ||
- | ==== Ein erster Ausschnitt ==== | + | ===== Ein erster Ausschnitt |
Wie gesagt, das ist fürs Erste der Dienstbefehl der Kapo Zürich. Doch er scheint mit den Übertretungsstrafbehörden des Kantons Zürich abgesprochen worden zu sein (Statthalterämter, | Wie gesagt, das ist fürs Erste der Dienstbefehl der Kapo Zürich. Doch er scheint mit den Übertretungsstrafbehörden des Kantons Zürich abgesprochen worden zu sein (Statthalterämter, | ||
- | ==== Das Abwägen ==== | + | ===== Das Abwägen |
Ach ja, etwas Lustiges steht da noch im Dienstbefehl. Eine Frage war, wie denn nun all die Polizistinnen und Polizisten im Dienst die 10 Gramm vor Ort abwägen sollten. Eine lustige Vorstellung, | Ach ja, etwas Lustiges steht da noch im Dienstbefehl. Eine Frage war, wie denn nun all die Polizistinnen und Polizisten im Dienst die 10 Gramm vor Ort abwägen sollten. Eine lustige Vorstellung, | ||
- | ==== Sie haben die Macht ==== | + | ===== Sie haben die Macht ===== |
Sie machen es sich wirklich einfach und wollen von der Repression kein bisschen abrücken. Nicht dort, wo es laut Gesetz möglich wäre, ja nicht einmal da, wo ihnen das Gesetz Straffreiheit vorschreibt. Aber sie haben halt die Macht, die Gesetze im Alltag letztlich nach ihrer Interpretation anzuwenden. Und die sagt: BESTRAFEN! | Sie machen es sich wirklich einfach und wollen von der Repression kein bisschen abrücken. Nicht dort, wo es laut Gesetz möglich wäre, ja nicht einmal da, wo ihnen das Gesetz Straffreiheit vorschreibt. Aber sie haben halt die Macht, die Gesetze im Alltag letztlich nach ihrer Interpretation anzuwenden. Und die sagt: BESTRAFEN! | ||
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====== Andere Umsetzung Ordnungsbussen ====== | ====== Andere Umsetzung Ordnungsbussen ====== | ||
- | ==== Bern und Basel interpretieren anders als Zürich ==== | + | ===== Bern und Basel interpretieren anders als Zürich |
Oben haben wir über den Dienstbefehl der Zürcher Kantonspolizei berichtet, der die Ordnungsbussenbestimmungen auf recht eigene Weise interpretiert hat. Aber es scheint auch, wie von uns angedacht, eine andere Umsetzung zu geben: So berichtete Blick am Abend (15.4.14), dass in Bern und Basel bei Besitz von weniger als 10 Gramm (ohne direkt beobachteten Konsum) keine Ordnungsbusse ausgestellt wird (weil ja straffrei...). Doch, wie wir im Shit happens 9 vermutet haben, riskiert man eine normale Anzeige. Diese Interpretation der Bestimmungen zur Ordnungsbusse scheint uns einiges näher am Gesetztestext zu sein als die Zürcher Interpretation. | Oben haben wir über den Dienstbefehl der Zürcher Kantonspolizei berichtet, der die Ordnungsbussenbestimmungen auf recht eigene Weise interpretiert hat. Aber es scheint auch, wie von uns angedacht, eine andere Umsetzung zu geben: So berichtete Blick am Abend (15.4.14), dass in Bern und Basel bei Besitz von weniger als 10 Gramm (ohne direkt beobachteten Konsum) keine Ordnungsbusse ausgestellt wird (weil ja straffrei...). Doch, wie wir im Shit happens 9 vermutet haben, riskiert man eine normale Anzeige. Diese Interpretation der Bestimmungen zur Ordnungsbusse scheint uns einiges näher am Gesetztestext zu sein als die Zürcher Interpretation. | ||
- | ==== Illegal bleibts halt doch ==== | + | ===== Illegal bleibts halt doch ===== |
Doch auch hier können sie das Bestrafen einfach nicht sein lassen: Sie führen halt ein normales Verfahren durch, wie früher. Stattdessen hätten sie sich auch mit der Quasilegalität des blossen Besitzes unter 10 Gramm abfinden und die Betroffenen in Ruhe lassen können. Doch davon scheinen sie nichts wissen zu wollen. Allerdings haben wir noch keinen Dienstbefehl einer entprechenden Polizei gesehen, da bleibt Raum für weitere Klärungen: Zum Beispiel, ob wirklich immer ein normales Verfahren durchgeführt wird. | Doch auch hier können sie das Bestrafen einfach nicht sein lassen: Sie führen halt ein normales Verfahren durch, wie früher. Stattdessen hätten sie sich auch mit der Quasilegalität des blossen Besitzes unter 10 Gramm abfinden und die Betroffenen in Ruhe lassen können. Doch davon scheinen sie nichts wissen zu wollen. Allerdings haben wir noch keinen Dienstbefehl einer entprechenden Polizei gesehen, da bleibt Raum für weitere Klärungen: Zum Beispiel, ob wirklich immer ein normales Verfahren durchgeführt wird. |