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Cannabiskonsum und Psychosen

In den Diskussionen um die Cannabis-Legalisierung wird von den Gegnern oft reflex­artig angeführt, dass Cannabiskonsum Psychosen verstärke oder gar auslöse. Die meisten Studien dazu sind jedoch schlicht mangelhaft. Allerdings gibt es auch zahlreiche Berichte von Betroffenen, die Cannabis gezielt nutzen, um mit ihren psychischen Störungen besser umgehen zu können.

Die Wirkung von Cannabis ist individuell, ausserdem gibt es ja bekanntlich nicht «das» Cannabis, sondern eine riesige Palette an Sorten und Züchtungen. Zudem spielen Dosierung, Häufigkeit und Art des Konsums eine grosse Rolle, wenn es um die Wirkung von Cannabisprodukten geht.

In der richtigen Kombination können Cannabinoide sogar antipsychotisch wirken. Die Unterteilung in legale und illegale Substanzen macht einmal mehr keinen Sinn, wenn selbst legale Substanzen unter dem Verdacht stehen, Psychosen verstärken oder gar auslösen zu können.

Was sind Psychosen?

Als Psychosen werden schwere psychische Störungen bezeichnet, die mit einem zeitweiligen und weitgehenden Verlust des Realitätsbezugs einhergehen. Instinktiv denkt man nun an den kauzigen Typen, der mit sich selber spricht und/oder andere in der Öffentlichkeit grundlos beschimpft. Der Begriff Psychose ist jedoch lediglich ein Überbegriff und umfasst noch viele andere psychische Erkrankungen, die bei weitem nicht so spektakulär sind.

Im Zusammenhang mit Cannabis(-konsum) wird der Begriff jedoch meist mit dem Erleben einer schizophrenen Episode gleichgesetzt. In einem solchen Zustand verlieren Betroffene den Bezug zur Realität, erleben also Wahnvorstellungen.

Der ungebrochene Glaube an unseriöse Studien

Treffen Befürworter und Gegner einer Cannabis-Legalisierung aufeinander, dauert es meistens nicht lange, bis sich die Kontrahenten Ergebnisse diverser Studien um die Ohren hauen.

Fakt ist jedoch, dass es zumindest aktuell wohl keine Studie geben kann, welche die Frage nach dem Nutzen und den Gefahren des Cannabiskonsums abschliessend erklären kann. Denn es liegt in der Natur der Sache, dass diese Studien fast ausnahmslos retrospektiv sind. Es wird also der aktuelle Zustand von Patienten betrachtet und dann rückblickend nach Ursachen für die Auslösung einer Psychose gesucht.

Dies funktioniert natürlich nur, wenn auch die Vorgeschichte mit messbaren Kriterien analysiert werden kann – beispielsweise mit medizinischen Aufzeichnungen oder Berichten über Begleiterkrankungen. Den Cannabiskonsum betreffend sind die Forschenden aber meistens auf die Selbsteinschätzung der Probanden angewiesen, also nicht auf empirisch exakt messbare Kriterien, sondern subjektive Empfindungen.

Dies ist insofern problematisch, da Selbstberichte im Nachhinein oft beschönigt werden. Und selbst wenn die Probanden aufrichtig sind, gibt es ein weiteres Problem: Das konsumierte Cannabis wurde oft auf dem Schwarzmarkt erworben, es kann also nachträglich keine Aussage über dessen Qualität gemacht werden. Die Wahrscheinlichkeit ist nämlich ziemlich hoch, dass das konsumierte Cannabis durch Rückstände oder Streckmittel kontaminiert war, welche ihrerseits das Ergebnis verfälschen können. Die Qualität und der Wirkstoffgehalt wird seitens der Forschung meistens nicht überprüft, und da es sich ja um Cannabisprodukte vom Schwarzmarkt handelt, ist die Qualitätssicherheit nicht gegeben – es vergleicht ja auch niemand Weizenbier mit gepanschtem Wodka…

Die Frage, ob nun Fremdstoffe oder Cannabis für den aktuellen Zustand des Probanden verantwortlich sind, kann somit nicht mehr beantwortet werden, denn auch ein z. B. mit Blei verunreinigter Joint kann Abgeschlagenheit verursachen oder sogar das Gehirn schädigen.

Huhn oder Ei: die Krux mit der Kausalität

Betroffene leben meistens längere Zeit mit psychischen Erkrankungen, bevor sie sich professionelle Hilfe suchen oder von ihrem Umfeld dazu bewogen werden. Die Diagnose gibt dann auch oft nur Hinweise auf die schlechten Erfahrungen und Ereignisse der Vergangenheit. Sobald dann der Cannabiskonsum ins Spiel kommt, wird dieser oft vorschnell als Ursache identifiziert, obwohl dies in den meisten Fällen nicht mit harten Fakten untermauert werden kann (wie z. B. durch empirische Daten, siehe oben).

Oft waren Betroffene ja bereits vor dem ersten Joint psychischen Traumata oder sozialen Stigmata ausgesetzt, doch ist dies Aussenstehenden meistens nicht bewusst. So gibt es auch ganz klare Krankheitsbilder, bei denen Cannabiskonsum die Symptome so­gar lindern kann. Dies ist beispielsweise bei ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung) oder dem Tourette-Syndrom der Fall – beides Krankheiten, bei denen Betroffene in gewissen Ländern Cannabis so­gar als Medikament verschrieben bekommen.

Der Konsum von Cannabis kann also auch unter dem Aspekt der Selbstmedikation betrachtet werden, wobei die Kausalität umgekehrt wird: Cannabiskonsum ist dann ein Symptom und nicht mehr die Ursache. Für welche Krankheitsbilder und unter welchen Voraussetzungen dies gilt, muss aber noch im Detail studiert werden und ist – wie ­vieles andere im Bereich Cannabiskonsum auch – als individuelle Angelegenheit zu ­betrachten.

Cannabis ist nicht gleich Cannabis

Cannabisprodukte (Gras/Marihuana und Haschisch) können sowohl je nach Sorte und Züchtung wie auch je nach Art und Menge der Wirkstoffe in der ursprünglichen Pflanze eine grosse Bandbreite an Wirkungen ent­falten. Während hochpotente Produkte mit viel THC (Tetrahydrocannabinol) psychotisch wirken, zeigen Sorten, die reich an CBD (Cannabidiol) sind, antipsychotische Effekte. Das ist wohl mit ein Grund, warum viele Cannabis-Liebhaber gutes marokkanisches oder afghanisches Haschisch schätzen: Die auf diesen Feldern traditionell angebauten Pflanzen sind – neben THC – auch reich an CBD, und deren Wirkung wird oft als an­genehmer empfunden als andere, weniger CBD-reiche Sorten.

Warum immer nur Cannabis?

Als Erstes müssen wir uns bewusst werden, dass psychotrope Substanzen per Definition das Bewusstsein verändern können. Konsumierende wollen ja gerade in andere Denkmuster verfallen, den Bezug zur Realität verändern oder gar Halluzinationen auslösen.

Dabei ist es egal, ob es sich um LSD, Cannabis oder Alkohol handelt. Dies wirft auch die Frage auf, ob denn nur Cannabis im Verdacht steht, das Risiko einer Psychose zu erhöhen. Ein Blick in die Fachliteratur zeigt, dass es auch Theorien über alkoholbedingte Psychosen gibt – ja selbst der Konsum von Tabak steht unter Verdacht, das Psychose-Risiko zu erhöhen.

In den Debatten wird dieser Umstand jedoch unterschlagen, vielleicht weil Alkohol und Tabak legal sind, obwohl diese Unterscheidung selten Sinn macht. Beinahe 30 % der Schweizer Bevölkerung ab 15 Jahren rauchen Tabak und ca. 13 % konsumieren täglich Alkohol. Es ist wahrscheinlich, dass ­psychisch Kranke, welche unter Verdacht stehen, eine Psychose aufgrund von Cannabis bekommen zu ha­ben, auch rauchen oder täglich Alkohol trinken.

Oft ist es ja dann auch ein Zusammentreffen mehrerer Faktoren, welches eine Krankheit auslösen kann – nur einen Umstand oder eine Substanz als ursächlich zu betrachten, ist allzu sehr vereinfacht und schlicht unseriös. Der Mensch und damit auch das Thema Gesundheit ist so komplex, dass es für eine gesamtheitliche Beurteilung immer zahlreiche Faktoren mitzuberücksichtigen gilt – sonst läuft man Gefahr, vorschnell die falschen Ursachen für Erkrankungen verantwortlich zu machen und damit schlussendlich eine Heilung zu erschweren oder gar zu verunmöglichen.

Eine Regulierung ist notwendig

Gemäss Zahlen des Suchtmonitorings hat ein Drittel aller in der Schweiz Lebenden schon einmal Cannabis konsumiert. Trotz des Verbots konsumieren also hunderttausende Personen Cannabis, ohne je ein Problem damit zu bekommen. Klar, jedes Opfer ist eines zu viel – allerdings ist es heuch­lerisch, hunderttausende Cannabiskonsumierende zu diskriminieren und zu kriminalisieren, und dies aufgrund einer Annahme, die wissenschaftlich betrachtet auf wackeligen Beinen steht.

Suchtfachleute sind sich einig, dass die Prohibition gescheitert ist und eine Regulierung von Cannabis dringend nötig wäre.

Die Grössenordnungen im Vergleich

Der Bund hat in der «Nationalen Strategie Sucht 2017-2024» auf der Seite 35 eine ­Zusammenstellung nach substanzgebundenen psychiatrischen Diagnosen veröffentlicht (Intoxikationen, schädlicher Gebrauch, Ab­hängigkeitssyndrom, Entzugssyndrom, psy­chotische Störung). Im Jahr 2013 wurden demnach 15’519 solche Diagnosen wegen Alko­hol gestellt, 1’807 wegen Opioiden, 1’702 wegen anderer Drogen, 1’700 wegen multiplen Substanzgebrauchs und 800 wegen Cannabinoiden (davon waren 135 psychotische Störungen).

Zuletzt geändert: 2018/11/21 14:22

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