Hilfe nur als Ausnahme: Medikamente auf Hanfbasis

Wir stellen die Situation im Jahr 2012 rund um die seit fast einem Jahr erlaubten Medikamente auf Hanfbasis dar und beleuchten einige der neuen gesetzlichen Vorschriften. Eine breite Verschreibung wird es kaum geben, aber in Einzelfällen sind Ausnahmen möglich.

Lang ist’s her, aber einige mögen sich noch an die verlorene Hanfinitiative erinnern. Am gleichen Abstimmungswochenende wurde damals auch das revidierte Betäubungsmittelgesetz angenommen. Heroinsüchtige dürfen seither unter staatlicher Aufsicht mit harten Drogen therapiert werden. Was Cannabis anbelangt, hat das Gesetz – ausser mehr Repression für Konsumierende – auch die Möglichkeit geschaffen, hanfbasierte Medikamente zuzulassen.

(Die 8. Auflage der Rechtshilfebroschüre Shit happens behandelt die generellen neuen Regelungen und kann gerne bei uns bestellt werden. Dieser Artikel ist nun eine Erweiterung/Konkretisierung des bisherigen kleinen Abschnittes über Hanf als Medizin.)

Als es anlässlich des Abstimmungskampfes um die Revision des Betäubungsmittelgesetzes darum ging, gute Gründe für eine Annahme zu präsentieren, schrieb der Bundesrat in seinen Abstimmungsempfehlungen ausdrücklich: «Heute ist die medizinische Anwendung von Cannabis verboten. Die Änderung des Betäubungsmittelgesetzes schafft die Möglichkeit, Medikamente auf Hanfbasis zuzulassen.» Was ist also aus dem Versprechen geworden und wie sieht die Situation von kranken Mitmenschen, die Cannabis zur Linderung ihrer Leiden verwenden möchten, aus?

Die neue gesetzliche Regelung

Wer damals gedacht hatte, er könne bald auf Kosten der Krankenkasse Cannabisblüten in der Apotheke beziehen, wurde bald enttäuscht. Mit dem Näherkommen der Einführung der neuen Bestimmungen wurde klar, dass Medizin aus Hanf die Ausnahme bleiben würde.

Seit dem 1. Juli 2011 ist das überarbeitete Gesetz in Kraft und erlaubt drei Anwendungsbereiche für Cannabis:

  1. Zu Forschungszwecken, wie z. B. für die Entwicklung eines Medikamentes. Dazu ist die Zustimmung der zuständigen kantonalen Ethikkommission sowie eine Freigabe (Notifikation) von Swissmedic und eine Aus­nah­mebewilligung vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) nötig.
  2. Als herkömmliches Medikament, welches bei der Swissmedic registriert ist.
  3. Als beschränkte medizinische Anwendung für die heute bekannten Indikationen; wozu ebenfalls eine Ausnahmebewilligung des BAG nötig ist.

Die ersten beiden Punkte besagen, dass es mit den nötigen Bewilligungen erlaubt ist, mit Cannabis Forschung zu betreiben und es als Medikament für bestimmte Krankheitsbilder registrieren zu lassen. Es könnte dann wie andere «normale» Arzneimittel ärztlich verschrieben und z. B. auf Rezept bezogen werden.

Es ist möglich, dass sich die Pharmaindustrie, die immer auf der Suche nach neuen lukrativen Märkten ist, bald mehr für Hanf interessiert und Medikamente entwickelt, welche wie andere Medikamente verschrieben werden können. Da jedoch der wichtigste Markt für Pharmazeutika, die USA, bereits «Medical Marijuana»-Gesetze in sechzehn Staaten haben und Hanf ohne langwierige bürokratische Prozesse für medizinische Zwecke erlaubt ist, könnte das den Herstellern von pharmazeutischen Produkten, die stark international ausgerichtet sind und am liebsten Monopolstellungen einnehmen, als zu wenig gewinnbringend erscheinen. Die grossen Investitionen für Forschung und Bewilligungsverfahren werden nur getätigt, wenn sich die Pharmakonzerne davon eine entsprechende Rendite versprechen. Zurzeit gibt es auf dem internationalen Medikamentenmarkt nur ein Produkt mit THC, das nicht synthetisch ist, sondern aus Hanf gewonnen wird. Dieses unter dem Namen Sativex bekannte Arzneimittel wird in Grossbritannien hergestellt und voraussichtlich nächstes Jahr (2013) in der Schweiz zugelassen. Die Verwendung wird jedoch auf neuropathische Schmerzen bei Patienten mit Multipler Sklerose begrenzt sein.

Beim dritten Anwendungsbereich wird ein Medikament nicht generell zugelassen, sondern zeitlich begrenzt für die Behandlung eines schwerkranken Patienten ausnahmsweise bewilligt (so genanntes Magistralmedikament). Diese beschränkte medizinische Anwendung ist bisher der einzige Bereich in der Schweiz, der in der Praxis von Bedeutung ist und es lohnt sich, einmal einen genaueren Blick auf die Bestimmung bzw. deren Umsetzung zu werfen.

Die beschränkte medizinische Anwendung

Um es gleich vorweg zu nehmen, kiffen wird man aus medizinischen Gründen in der Schweiz unter den heute geltenden Bestimmungen nie dürfen. Obwohl synthetisches THC unter gewissen Bedingungen als Inhalationslösung verabreicht werden darf und mit Hilfe eines Vaporizers konsumiert werden kann, ist Rauchen gemäss BAG keine medizinisch akzeptierte Applikationsform. Das gilt auch für die Aufnahme von THC über Nahrungsmittel. Ausserdem kann niemand selber entscheiden, dass sie oder er aus medizinischen Gründen THC zu sich nehmen möchte. Ein Arzt muss feststellen, dass einem Patienten mit einer THC-Therapie geholfen werden könn­te und ein entsprechendes Gesuch beim BAG einreichen.

Solche Gesuche wurden schon vor der Revision des Betäubungsmittelgesetzes gestellt, jedoch nicht für Medikamente welche THC aus Hanf enthalten, sondern für solche mit synthetischem THC. Dabei wird meistens das Produkt Dronabinol, auch bekannt als Marinol, verschrieben. Es enthält 2.5 % THC und konnte in der Schweiz bisher in zwei Apotheken bezogen werden.

Mit der Gesetzesrevision ist es möglich geworden, auch Ausnahmebewilligungen für Medikamente mit natürlichem THC zu erhalten. Diesen Frühling ist es dem Apotheker Manfred Fankhauser aus Langnau i. E. gelungen, eine solche Bewilligung für ein Präparat mit 5 % THC zu erhalten. Er hat schon seit einigen Jahren Erfahrung mit THC als Medikament und hat bereits einige hundert Patienten erfolgreich mit der synthetischen Version des Wirkstoffes behandelt. Sobald das erste ärztliche Gesuch für eine Behandlung mit dem natürlichen Hanfpräparat des Emmentaler Apothekers vom BAG genehmigt wird, darf einem Patienten zum ersten Mal seit mehr als 60 Jahren mit natürlichem THC geholfen werden.

Die bekannten Indikationen

THC kann bei vielen medizinischen Problemen helfen. Was manch einem Kiffer bewusst ist, muss aber zur medizinischen Anwendung in teuren und aufwändigen Studien belegt werden. Oft geben anekdotische Berichte von Kiffern den Forschern den Impuls, die Wirksamkeit von THC näher zu untersuchen. In der Zukunft werden Medikamente mit natürlichem THC wohl wie solche mit synthetischem THC eingesetzt werden.

Dronabinol z. B. wird heute in der Schweiz unter anderem bei folgenden Symptomen eingesetzt:

  • Übelkeit und Erbrechen
  • Appetitlosigkeit und Abmagerung
  • Anorexie und Gewichtsverlust
  • Spastik, Muskelkrämpfe und -verhärtung
  • Schmerzzustände
  • Asthma, grüner Star, Epilepsie, Schlafstörungen und Angstzustände
  • Bewegungsstörungen

Patienten mit diesen Symptomen haben z. B. Multiple Sklerose, Krebs, Aids, Alzheimer, Hepatitis C, Magersucht und andere schwere Erkrankungen. In der Schweiz betreffen fast die Hälfte der Ausnahmegesuche Patienten mit Multipler Sklerose.

Da sich das BAG bei der Erteilung der Ausnahmebewilligungen auf veröffentlichte wissenschaftliche Erkenntnisse stützt und nicht an spezifische Indikationen gebunden ist, könnte THC irgendwann nicht nur in der Symptom-Bekämpfung eingesetzt werden. Sein grosses Potential wird sich mit der zunehmenden Forschung, welche auch von medizinisch konservativeren Kreisen anerkannt werden muss, auf viele herkömmliche Be­hand­lungsformen auswirken. So hat das «National Cancer Institute» in den USA vor kurzem anerkannt, dass THC Tumorzellen abtötet und somit Krebs bekämpft; dies ohne schädliche Nebenwirkungen für gesunde Zellen. Auch in der Behandlung von Aids wird Cannabis in der Zukunft möglicherweise eine grössere Rolle spielen: Forscher der «Mount Sinai School of Medicine» in New York haben herausgefunden, dass Cannabinoide die Vermehrung von HI-Viren in späten Aids-Stadien hemmen.

Die Ausnahmebewilligung

Da Cannabis für viele Politiker und das BAG immer noch ein Schreckgespenst zu sein scheint, ist die ganze Kette von Aktivitäten, welche zum Endprodukt «Medikament auf Hanfbasis» führen und etwas mit seiner Abgabe an Patienten zu tun haben, bewilligungspflichtig. Darunter fallen der Hanfanbau, die Herstellung der Heilmittel, die Behandlung des Patienten sowie der Handel mit Hanfmedizin bzw. deren Abgabe.

Falls ein behandelnder Arzt aufgrund seiner Diagnose einen Antrag zur Behandlung seines Patienten mit THC beim BAG stellt, muss er:

  • schriftlich bestätigen, dass er die Verantwortung für die Folgen seiner Verschreibung übernimmt
  • Name, Adresse, Alter sowie die schriftliche Einverständniserklärung des Patienten vorlegen
  • die bisher eingesetzten Medikamente bekanntgeben
  • die beabsichtigte Dosierung und vorgesehene Behandlungsdauer deklarieren
  • alle sechs Monate einen Zwischenbericht über die Behandlung erstellen sowie einen Schlussbericht für das BAG verfassen
  • den Ablauf der Logistik für die Abgabe des Medikamentes beschreiben; dabei kann der Arzt selber, eine Apotheke oder ein Spital das hanfbasierte Medikament nur direkt an den Patienten abgeben
  • angeben, wie die Therapie finanziert werden soll, da sie nicht notwendigerweise von der Grundversicherung übernommen wird.

Wenn das Medikament dann von einer Apotheke abgegeben werden soll, benötigt diese dafür eine Betriebsbewilligung auf kontrollierte Substanzen gemäss Artikel 11 der Betäubungsmittelkontrollverordnung. Diese Bewilligung wird auch benötigt, wenn eine Apotheke selber ein Medikament aus dem verbotenen Cannabis, wie z. B. eine Hanftinktur, herstellen will.

Wie erwähnt, ist auch der Anbau von Hanf, der zur ­Her­­stel­lung von Medikamenten dienen soll, gesetzlich re­g­le­mentiert. Grundsätzlich braucht der «Grower» ge­mäss Betäubungsmittelkontrollverordnung die schon erwähn­te Betriebsbewilligung oder muss im Auftrag ei­nes bewilligten Betriebes handeln. Im Weiteren muss vom Hanfproduzenten noch ein Gesuch für eine Anbaubewilligung gestellt werden.

Hat der oder die Produzierende selber keine Betriebsbewilligung, muss beim BAG ein Gesuch gestellt werden, worin:

  • ausreichender Schutz vor Diebstahl nachgewiesen wird
  • ein schriftlicher Vertrag mit einem bewilligten Betrieb vorgelegt werden muss
  • genaue Angaben über Art und Menge des Anbaus gemacht werden
  • garantiert wird, dass die gesamte Anbaumenge an den Auftraggeber abgeliefert wird.

Der bürokratische Aufwand wird die meisten potentiellen Produzenten von medizinischem Hanf abschrecken, legal zu produzieren und es wird wohl kaum zu einem Revival von Hanffeldern in der Schweiz kommen. Wahrscheinlich werden einige wenige auf den Arzneipflanzenanbau spezialisierte Firmen den Markt unter sich ausmachen.

Hanfmedizin wird nicht billig sein und die Ausnahme bleiben

Die Kosten, die aufgrund der verschiedenen Bewilligungspflichten entstehen, bewirken, dass ein Medikament, welches alle Hürden genommen hat, um dann ausnahmsweise zur Behandlung zugelassen zu werden, nicht billig sein wird. Zurzeit belaufen sich die Medikamentenkosten für eine Behandlung mit synthetischem THC je nach Tagesdosis zwischen 5 und 35 Franken. Für die in der Schweiz hergestellte Hanftinktur prognostiziert Manfred Fankhauser typische tägliche Kosten von 10 bis 15 Franken.

Wenn man bedenkt, dass durch die Nebenwirkungen und den Missbrauch von handelsüblichen Medikamenten, die oft ohne Rezept gekauft werden können, in der Schweiz jedes Jahr hunderte Menschen ums Leben kom­men und Ungezählte gesundheitliche Schäden da­vontragen, muten die beschriebenen Vorschriften grotesk an. Dies ist wohl nötig, da auch für härtere Drogen Ausnahmebewilligungen erteilt werden können. Es stellt sich aber die Frage, ob es sinnvoll ist, Cannabis wie Heroin oder LSD zu behandeln. Die Justiz hat betreffend Betäubungsmittelkonsum und -handel gelernt, Drogen verschieden zu behandeln. Es ist zu hoffen, dass die Akteure im Gesundheitswesen das in ihrem Bereich auch lernen werden. Solange jedoch Cannabis gemäss den internationalen Betäubungsmittelkonventionen, welche die Schweiz unterzeichnet hat, verboten bleibt, kann nicht mit einer Entspannung gerechnet werden.

Illegale Medikamente auf Hanfbasis

Da z. B. die Herstellung einer Hanftinktur technisch relativ einfach ist, die Kosten für eine Behandlung mit hanfbasierten Medikamenten nicht unbedingt von den Krankenkassen übernommen werden und die bürokratischen Hürden für das Erlangen der Ausnahmebewilligungen relativ hoch sind, ist anzunehmen, dass Hanfmedikamente selbst von Patienten hergestellt werden und es auch einen Schwarzmarkt dafür gibt. Im Internet finden sich zahlreiche Rezepte und Erfahrungsberichte. Gute Beispiele für Herstellungsmethoden von Hanfölen und -tinkturen finden sich in englischer Sprache unter http://phoenixtears.ca oder auf Deutsch unter www.cannabis-med.org. Wer eine schwere Krankheit hat und glaubt, dass Cannabis helfen könnte, sollte aber auf Nummer sicher gehen und zuerst mit seinem Arzt prüfen, ob eine Ausnahmebewilligung erlangt werden könnte.

Zuletzt geändert: 2023/12/22 21:16

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