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Das Kiffen zu verbieten wäre eigentlich verboten

Die neue Bundesverfassung von 1999 definiert zum ersten Mal einen übersichtlichen Grundrechtekatalog. Diese Menschenrechte sind nicht änder- oder abschaffbar. Sie stehen über dem Gesetz und müssen das staatliche Handeln durchdringen. Was bedeutet das für uns?

Das heutige Betäubungsmittelgesetz (BetmG) verbietet den Konsum, den Besitz, die Weitergabe, den Anbau und den Verkauf von kiffbarem Material. Doch wir Kiffenden halten uns nicht daran. Die allermeisten von uns haben dabei kein schlechtes Gewissen. Sind wir nun alle notorische Rechtsbrechende? Oder gibt es doch eine juristische Grundlage dafür, dass wir uns einen Deut um ebendieses Betäubungsmittelgesetz scheren?

Demokratie und Rechtsstaat

Die neue Bundesverfassung, welche das Volk am 18. April 1999 angenommen hat, enthält die grundlegenden Bestimmungen, nach denen in unserem Land verfahren werden soll. Sie enthält zum ersten Mal einen übersichtlichen, ausformulierten Grundrechtekatalog und definiert, was überhaupt an staatlichen Vorschriften zulässig ist. Es gibt also Grenzen, die sowohl das Volk, das Parlament als auch die Verwaltung beachten müssen. Oder wie es die ehemalige Justizministerin Metzler immer wieder zu sagen pflegte: Die Schweiz ist nicht nur eine Demokratie, sondern auch ein Rechtsstaat. Demokratie bedeutet im Wesentlichen, dass die Mehrheit entscheiden soll; Rechtsstaat bedeutet, dass es gewisse grundlegende Rechte gibt, die auch keine noch so grosse Mehrheit verändern oder beschneiden darf. In diesem Artikel möchte ich die neue Bundesverfassung (BV) einmal daraufhin abklopfen, was sie zum Kiffen meint. (Den ganzen Text der Verfassung kannst du unter www.admin.ch/ch/d/sr/c101.html direkt anschauen oder als PDF-Datei herunterladen und ausdrucken.)

Die Verfassung schützt die Freiheit

Der allgemeine Zweck unseres Staates ist der Schutz der Freiheit, die Förderung der kulturellen Vielfalt und die Sorge um eine möglichst grosse Chancengleichheit (Art. 2). Diese Bestimmungen sind nicht direkt anwendbar, sie sollen mehr den allgemeinen Sinn und Zweck unseres Staates beschreiben. Oder wie es in der erläuternden Botschaft zur neuen BV (Bot BV) heisst: «Die prominente Nennung des Freiheits- und Rechtszweckes will den Bund auf die Rechtsstaatlichkeit festlegen.»

Konkreter wird dies dann im Art. 5 BV ausgeführt: «Grundlage und Schranke staatlichen Handelns ist das Recht. Staatliches Handeln muss im öffentlichen Interesse liegen und verhältnismässig sein.» Mit «Recht» sind nicht nur die Gesetze gemeint, sondern auch die verfassungsmässigen Grundrechte, auf die wir später im Detail kommen werden. Mit «öffentlichem Interesse» kann vieles gemeint sein: öffentliche Ruhe und Ordnung, Sicherheit, Gesundheit oder Sittlichkeit, wie es in der Bot BV heisst. Mit «verhältnismässig» sind drei Dinge gemeint: «Eine staatliche Massnahme muss geeignet sein, das angestrebte Ziel zu erreichen (Geeignetheit); staatliches Handeln darf in materieller, räumlicher, zeitlicher und persönlicher Hinsicht nicht schärfer einschränken, als dies für die Erreichung des Ziels nötig ist (Erforderlichkeit, ‘geringstmöglicher Eingriff’); schliesslich muss die geeignete und erforderliche Massnahme in einem vernünftigen Verhältnis zum angestrebten Ziel stehen (Verhältnismässigkeit im engeren Sinn oder Verhältnismässigkeit des geforderten Opfers).» So steht es in der Bot BV.

Diese Überlegungen sollen übrigens nicht nur von dem Gesetzgeber (dem Parlament) beachtet werden, sondern auch von den rechtsanwenden den Behörden (also der Polizei, der Staatsanwaltschaft und den Gerichten). Noch immer sind wir in einem eher allgemeinen Teil unserer Verfassung; doch kann man sagen, dass die Gesellschaft eine Einschränkung der persönlichen Freiheit, dem höchsten Gut unserer Rechtsordnung, sehr gut begründen muss.

Die Grundrechte sind immer gültig

Die Grundrechte sind nun nicht mehr so theoretisch, wie die einleitenden Bemerkungen. Sondern «die Grundrechte, soweit sie sich an die Einzelnen richten, sind in der Tat von den rechtsprechenden Behörden direkt anwendbar; dies bedeutet konkret, dass jeder Person ihre Verletzung vor den Gerichten anrufen kann.» (Bot BV). Also auch wenn in einem Gesetz steht, dies und jenes sei verboten, muss ein Gericht eine Abwägung machen zwischen den grundlegenden Rechten und dem gesetzten Recht. Und die Gerichte können und sollen diese konkrete Umsetzung der Grundrechte auch in Zukunft weiterentwickeln dürfen. (Dies kommt dann auch im Art. 35 BV zum Ausdruck: «Die Grundrechte müssen in der ganzen Rechtsordnung zur Geltung kommen. Wer staatliche Aufgaben wahrnimmt, ist an die Grundrechte gebunden und verpflichtet, zu ihrer Verwirklichung beizutragen.»)

Rechtsgleichheit

Der Art. 8 BV heisst «Rechtsgleichheit» und wird von der Bot BV folgendermassen ausgeführt: «Der Grundsatz der Rechtsgleichheit richtet sich gleichermassen an diejenigen, die Gesetze erlassen, wie an diejenigen, die das Recht anwenden. Rechtsetzende Behörden müssen Gleiches nach Massgabe seiner Gleichheit gleich und Ungleiches nach Massgabe seiner Ungleichheit ungleich behandeln». Hier sehen wir bereits den ersten konkreten Verstoss im BetmG. Während Alkohol grundsätzlich konsumiert werden darf, ist das Kiffen grundsätzlich verboten. Dabei sind beides psychoaktive Substanzen, also Mittel, die das Bewusstsein der Menschen beeinflussen. Es gibt sowohl bei THC-Produkten wie auch bei Alkoholika einen eher genussmässigen Konsum, wie auch ein gewisses Abhängigkeitspotenzial. Allerdings sind Todesfälle auf Grund reinen Alkoholkonsums vielfach belegt und allgemein anerkannt, während dies beim reinen Konsum von THC-Produkten in keinster Weise der Fall ist. Haschisch und Gras müssen somit als weniger gefährlich als Alkoholika eingeschätzt werden. Damit ist die rechtliche Stellung aber genau verkehrt: Nicht THC-Produkte müssten völlig verboten und der Alkohol grundsätzlich zugelassen werden, sondern Alkohol müsste mit strengeren Auflagen konsumiert werden dürfen als THC-Produkte. Die Forderung nach Rechtsgleichheit wird hier in äusserst krasser Weise verletzt.

Diskriminierungsverbot

In Art. 8 BV heisst es dann weiter: «Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. Niemand darf diskriminiert werden, namentlich nicht wegen der Herkunft, der Rasse, des Geschlechts, des Alters, der Sprache, der sozialen Stellung, der Lebensform, der religiösen, weltanschaulichen oder politischen Überzeugung oder wegen einer körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderung.» Die Diskriminierung in Folge des persönlich bevorzugten Drogenkonsums wird hier zwar nicht namentlich erwähnt, aber der Sinn und Geist dieses Artikels ist ja nach Bot BV: «Nach diesem Grundsatz rechtfertigt kein Umstand die unterschiedliche Behandlung einer Personengruppe, wenn er als Beweggrund für die Diskriminierung dieser Gruppe dient.»

Alkohol darf, selbst in der gefährlichen Variante des Schnapses (mit 40 Prozent Alkohol), von Erwachsenen überall gekauft werden – es werden jährlich Milliarden dafür ausgegeben. Wer aber das weniger gefährliche Gras oder Hasch konsumieren möchte, um sein Bedürfnis nach psychischer Veränderung auszuleben, darf das nicht. Bereits der blosse Konsum ist ja strafbar. Gerade hier kommt es darauf an, dass die Gerichte die obige Liste weiterentwickeln. Und der Begriff der «Lebensform» enthält meiner Ansicht ja genau das entscheidende Kriterium. Wenn ich kiffe, gefährde ich niemand anderen. Allenfalls mich selbst, wenn ich Cannabis rauche. Selbstgefährdung kann in einem liberalen Rechtsstaat jedoch niemals eine Grundlage für ein Verbot sein (sonst müsste die krasseste Selbstgefährdung, der Suizid, ja auch verboten werden). Kiffen ist einfach mein Umgang mit meiner Lust, andere psychische Zustände zu erleben, als lediglich den der Nüchternheit. Kiffen ist also ein spezieller Teil meiner Lebensform; im übrigen arbeite ich, schaue zu mir, liebe, engagiere mich – wie die Menschen, die nicht kiffen, ja auch.

Die Ähnlichkeit zu anderen Lebensformen, die lediglich von einer Minderheit betrieben werden, aber, wie das Kiffen, keinerlei Opfer fordern (also keine Rechte Dritter verletzen) und lediglich auf Grund von unreflektierten Gefühlen («Das macht me eifach nöd», «das isch nöd aaschtändig») früher verboten waren, ist augenfällig. Zum Beispiel das Verbot des Konkubinats. Bis in die Neunziger Jahre war in verschiedenen Gegenden der Schweiz das Zusammenleben von Mann und Frau ohne Trauschein unter Strafe verboten. Bis weit in das letzte Jahrhundert war die gleichgeschlechtliche Liebe verboten.

Und beim Kiffen ist es ähnlich: Bloss weil eine Mehrheit keine Ahnung davon hat und es unanständig findet, ist es verboten. Und für solche Verbote gibt unsere Verfassung keine Grundlage ab; im Gegenteil, sie sagt klipp und klar, dass solche Diskriminierungen verboten sind. Daran haben sich alle zu halten. Sowohl das ganze Volk wie auch unser Parlament und unsere Justiz. Tun sie das nicht, treten sie unseren Rechtsstaat mit Füssen.

Glaubens- und Gewissensfreiheit

Auch die Glaubens- und Gewissensfreiheit, wie sie in Art. 15 BV niedergeschrieben wurde, ist in der Schweiz geschützt: «Jede Person hat das Recht, ihre Religion und ihre weltanschauliche Überzeugung frei zu wählen und allein oder in Gemeinschaft mit anderen zu bekennen.» Dazu führt die Bot BV weiter aus: «Die Religion ist hier in einem sehr weiten Sinn zu verstehen, der jegliche Beziehung des Menschen zum Göttlichen oder Transzendenten umfasst. (…) Unter den persönlichen Kultushandlungen versteht man gemeinhin das Gebet, die Beichte, die Meditation, das Fasten oder die rituelle Waschung.» Gerade im Christentum ist es ja auch eine Droge, der Wein, der eine zentrale religiöse Bedeutung für die Gläubigen besitzt (Abendmahl). Und in der Rasta-Religion, aber auch in anderen Religionen, ist es nun halt der Hanf, der dort diesen Part übernimmt (wobei dann häufig Alkohol verboten ist). Auf alle Fälle ist der Konsum von THC sicherlich für viele Menschen eine Art der Kontemplation, der inneren Einkehr, der Verbindung mit dem Transzendenten, also dem, was über die alltägliche Erfahrung hinausweist. Allein damit ist der freie Konsum von Cannabisprodukten eigentlich schon geschützt.

Recht auf medizinische Pflege

Hierzu hält der Art. 41 BV fest: «Bund und Kantone setzen sich in Ergänzung zu persönlicher Verantwortung und privater Initiative dafür ein, dass: (…), b. jede Person die für ihre Gesundheit notwendige Pflege erhält.» Nun ist Cannabis eines der ältesten Heilmittel der Menschheit; sowohl die nichtpsychoaktiven Samen wie auch das Harz der Hanfpflanze wurden seit Menschengedenken als Medizin verwendet. Es gibt bis heute kein besseres Schlafmittel; es ist das am wenigsten problematische leichte Schmerz mittel; es wirkt gegen Depressionen; es ist appetitanregend; es ist leicht aphrodisisch (sexuell anregend); es reduziert Spasmen (Muskelkrämpfe). Was will der Gesetzgeber eigentlich mehr, als dass Kranke ihre Pflänzchen in privater Initiative selber ziehen und in persönlicher Verantwortung konsumieren, um ihre Leiden zu lindern? Das kostet nicht einmal die Krankenversicherungen etwas…

Einschränkungen der Grundrechte

Allerdings gibt es den Art. 36 BV, wo die Möglichkeit der Einschränkung von Grundrechten beschrieben wird: «Einschränkungen von Grundrechten bedürfen einer gesetzlichen Grundlage. Schwerwiegende Einschränkungen müssen im Gesetz selbst vorgesehen sein. (…) Einschränkungen von Grundrechten müssen durch ein öffentliches Interesse oder durch den Schutz von Grundrechten Dritter gerechtfertigt sein. Einschränkungen von Grundrechten müssen verhältnismässig sein. Der Kerngehalt der Grundrechte ist unantastbar.»

Im letzten Satz haben wir wieder die absolute Gültigkeit der Grundrechte, wenigstens in ihrem Kerngehalt. Ausserhalb des Kerngehaltes (dieser schwammige Begriff muss dann von den Gerichten ausgelegt werden) sind Einschränkungen zulässig. Jedoch nicht völlig beliebig irgendwelche.

Die Einschränkung der Grundrechte muss verhältnismässig sein. Ein absolutes Verbot des Kiffens, selbst von Erwachsenen allein bei sich zu Hause, ist unverhältnismässig. Wenn jemand ein Bier trinkt oder eine Flasche Wein öffnet, ist das ja auch nicht verboten. Grundrechte Dritter werden ebenfalls nicht tangiert, wenn ich daheim einen THC-Ballon inhaliere. Es betrifft ausschliesslich mich selbst. Bot BV: «… gibt dem klassischen Gedanken Ausdruck, dass die Freiheit eines jeden da ihre Schranken findet, wo die Freiheit des anderen beginnt.» Gerechtfertigt ist ein Eingriff in die Grundrechte laut Bot BV folgendermassen: «der Begriff der Rechtfertigung impliziert notwendig, dass das öffentliche Interesse dasjenige des Einzelnen an der Ausübung seiner Freiheit überwiegt.»

Eine gesetzliche Grundlage jedoch hat das Kiffverbot: Es gibt ein auf gültigem Weg verabschiedetes BetmG. Doch dies allein genügt meiner Ansicht nach eben nicht. Einzig wenn man das öffentliche Interesse so auslegt, dass die Gesellschaft ein wichtiges Interesse daran hat, dass niemand THC aufnimmt (weil es etwa schwerste Erkrankungen auslösen würde oder zum Zerfall der Gesellschaft führen könnte), könnte man eine Rechtfertigung für ein solches Verbot finden.

Und tatsächlich: wenn man die Debatte im Nationalrat und die Diskussion in den Medien Ende letzten Jahres zur Cannabis-Entkriminalisierung verfolgt hat, stösst man genau auf solche Meinungen. «Hasch ist ein Rauschgift», «Kiffen ist gefährlich und führt zu harten Drogen», «Cannabis hat, im Gegensatz zu Alkohol, keinen gastronomischen Wert, es ist lediglich der Rausch, den man sucht», «wir wollen keine weiteren Drogen», «die Zivilisation ist gefährdet, wenn die Menschen ihre Urteilskraft einschränken» und so weiter. Da es jedoch keine Cannabis-Entzugskliniken gibt (beim Alkohol jedoch jede Menge), keine Liste der Cannabistoten (bei Heroin, Tabak und Alkohol sehr wohl), keine Verwahrlosungserscheinungen bei den Konsumierenden (bei Opiaten und Alkoholika aber schon), sind diese «Argumente» Behauptungen, die vor allem eines aussagen: Es gibt relevante Kräfte, die das Kiffen einfach als etwas Unanständiges ansehen, dem man den Riegel vorschieben muss.

Wie man früher halt die Homosexualität oder das Konkubinat oder das Baden im See ausserhalb der Badeanstalten oder das Sitzen auf einer Wiese im Park oder noch früher auch den Konsum von Kaffee oder Tabak dafür verantwortlich gemacht hat, dass die Gesellschaft halt nicht so ist, wie man das gerne hätte. Solchen willkürlichen, diskriminierenden und unverhältnismässigen Verboten schiebt unsere Verfassung einen Riegel vor. Es liegt an uns, die Verletzung unserer Grundrechte vor Gericht bei einem allfälligen Prozess anzurufen und es liegt an den Gerichten, uns diese Grundrechte zu gewähren. Ich denke, die Chancen stehen gut, dass in den nächsten Jahrzehnten ein Recht auf freie Wahl des psychoaktiven Stoffes, auch und gerade von Cannabisprodukten, von den Gerichten bejaht werden wird.

Bis jetzt haben wir die persönlichen Grundrechte angeschaut und gesehen, dass die Bundesverfassung einige Bestimmungen zu unseren Gunsten enthält, jedenfalls was den persönlichen Gebrauch von Cannabisprodukten angeht (Konsum, Besitz, Anbau für Eigenbedarf, Kauf). Doch wie sieht es mit dem Handel von THC-haltigen Produkten wie Hasch und Gras aus?

Handels- und Gewerbefreiheit

Art. 27 BV garantiert die Handels- und Gewerbefreiheit: «Die Wirtschaftsfreiheit ist gewährleistet.» Die Bot BV meint dazu: «(…) spricht sich die Bundesverfassung für eine grundsätzlich staatsfreie Wirtschaft aus, die auf dem Gedanken der Privatautonomie beruht und sich an marktwirtschaftlichen Prinzipien orientiert.» Und in Art. 94 BV heisst es: «Bund und Kantone halten sich an den Grundsatz der Wirtschaftsfreiheit. (…) Abweichungen vom Grundsatz der Wirtschaftsfreiheit, insbesondere auch Massnahmen, die sich gegen den Wettbewerb richten, sind nur zulässig, wenn sie in der Bundesverfassung vorgesehen (…) sind.» Auch hier sehen wir laut Bot BV: «staatliche Beschränkungen des freien Wirtschaftens bedürfen einer Rechtfertigung durch überwiegende öffentliche Interessen und einer hinreichenden rechtlichen Grundlage.» «Es (das Bundesgericht) hat dabei namentlich die Maxime entwickelt, dass ‘nicht jedes irgendwie geartete öffentliche Interesse’ einen Eingriff in die Handels- und Gewerbefreiheit rechtfertigt.»

Und es sei «untersagt, Regelungen und Massnahmen zu treffen, die den Wettbewerb unter privaten Wirtschaftssubjekten verzerren oder den Wettbewerb sogar ganz verunmöglichen. Es dürfen nicht einzelne Konkurrenten bevorzugt und andere benachteiligt werden.» Mit dem Totalverbot des Cannabishandels wird jedoch die Wirtschaftsfreiheit in diesem Gebiet nicht umgesetzt. Dies, obwohl die anderen psychoaktiven Substanzen wie Alkohol, Tabak oder auch verschiedene Medikamente verkauft werden dürfen, wenn auch unter bestimmten Auflagen (Jugendschutz, Packungsvorschriften, Besteuerung, usw.).

Eine solche Behandlung wäre auch für den Cannabishandel möglich – wieso also soll ein vollumfängliches Verbot verhältnismässig sein? Und auch wenn man sich die Konkurrenz zwischen den verschiedenen Drogen ansieht: Wird mit dem Verbot von THC-Produkten nicht dem Alkohol (der grössere Probleme verursacht) oder dem Tabak (der eine sehr grosse Abhängigkeit erzeugt) ein ungerechtfertigter Wettbewerbsvorteil verschafft? Die obigen Überlegungen bedeuten nicht, dass man aus der BV eine totale Freiheit des Konsums oder des Verkaufes von Cannabis an alle und auf jede Art herleiten kann. Aber man kann meiner Meinung nach herleiten, dass es eine vergleichbare (wenn auch weniger strenge!) Regelung wie beim Alkoholverkauf auch beim Hasch- und Grashandel geben muss. Das wäre der korrekte Umgang mit dem Thema.

Schutz der Gesundheit

Dies wird übrigens auch von Art. 118 BV (auf diesen Artikel der Bundesverfassung stützt sich das heute geltende Betäubungsmittelgesetz) vorgeschlagen: «Der Bund trifft (…) Massnahmen zum Schutz der Gesundheit. Er erlässt Vorschriften über: den Umgang mit Lebensmitteln sowie Heilmitteln, Betäubungsmitteln, (…), welche die Gesundheit gefährden können.» Hier steht nichts von einem Totalverbot, sondern es sollen Massnahmen ergriffen werden, um die Gesundheit zu schützen. Niemand hat etwas gegen Regeln im Umgang mit THC-Produkten (Informationskampagnen, Packungsaufschriften, Packungsbeilagen, Besteuerung, Werbebeschränkungen, allenfalls Einschränkung der Orte für den Konsum, Jugendschutz). Dies soll und kann in einem «THC-Gesetz» geregelt werden. Doch ein überrissenes, freiheitvernichtendes, Rechtsungleichheit schaffendes, diskriminierendes und unverhältnismässiges Totalverbot ohne dass ein begründetes öffentliches Interesse vorliegt – davon steht in unserer Verfassung nichts.

Wie kann man seine Grundrechte einfordern?

Die Grundrechte, wie wir sie in unserem Artikel vorgestellt haben, können direkt von einer einzelnen betroffenen Person vor Gericht angerufen werden. Wer also zum Beispiel wegen Kiffens verzeigt wurde und eine Busse erhalten hat, könnte Einspruch dagegen erheben mit der Begründung, dass das heute geltende BetmG seine Grundrechte verletzt (Diskriminierungsverbot, Rechtsgleichheit usw.).

Es liegt dann am Gericht festzustellen, ob das Interesse der Gesellschaft, das geltende Betäubungsmittelgesetz durchzusetzen, höher zu gewichten ist, als die Garantie der persönlichen Freiheit in der Bundesverfassung. Wie eine solche Güterabwägung ausgehen würde, ist nicht leicht vorherzusagen. Natürlich wäre die Wahrscheinlichkeit gross, dass die Gerichte – wie bisher – dem BetmG den Vorzug geben würden und man verurteilt bliebe. Doch es ist ebenso möglich, dass das Gericht zu den Grundrechten hält. Man müsste es ausprobieren. (In Deutschland zum Beispiel hat das Verfassungsgericht die Meinung vertreten, dass ein gelegentlicher Konsum nicht bestraft werden darf und hat den Gesetzgeber angewiesen, das BetmG entsprechend zu ändern. Das zeigt, dass meine Argumentation nicht völlig abwegig ist. Ich denke sogar, sie müsste wirklich allen rechtsstaatlich denkenden Menschen ohne weiteres einleuchten.)

Es wäre also wünschenswert, die Argumentation dieses Artikels vor Gericht zu erproben. Dafür braucht es zweierlei. Erstens benötigen wir eine Person, die konkret verzeigt wurde und bereit wäre, den (langen) Marsch durch die Gerichte anzutreten. Und zweitens braucht es Geld. Da es bei den ersten solchen Prozessen wahrscheinlich zuungunsten von uns ausgehen würde (oder man jedenfalls diese Möglichkeit nicht ausschliessen kann), müsste es genügend Geld geben, um auch einen solchen negativen Ausgang abzufangen.

Wenn die Busse und die Schreibgebühren zum Beispiel in Zürich 258 Franken kosten nach einer Verzeigung wegen Kiffens, so kostet eine Verhandlung vor Bezirksgericht nochmals rund 500 bis 1000 Franken, eine solche vor dem kantonalen Obergericht rund 1000 Franken und ein Richterspruch des Bundesgerichtes in Lausanne nochmals 2000 Franken (natürlich nur dann, wenn man verliert, aber eben . . . ). Zusammen sind das Kosten von 4000 Franken. Wenn man noch ein paar Stunden Anwaltskosten (zur vertieften Klärung von bestimmten Fragen) dazurechnet, kommen schnell nochmals 3000 Franken zusammen (das ergäbe pro Instanz jeweilen fünf bezahlte Arbeitsstunden eines Anwaltes). Total sind wir jetzt bei 7000 Franken. Diese müssten auf einem Konto bereitliegen, bevor ein solcher Versuch gestartet werden kann. Im Fall einer Niederlage müsste man dasselbe alle fünf bis zehn Jahre nochmals versuchen. Im Falle eines Sieges wäre ich dafür, das Geld in ein grosses Fest zu investieren.

Zuletzt geändert: 2013/09/23 11:58

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