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Ein Gang durch die Mühlen der Justiz

Über 30000 Bussen gibt es jährlich gegen uns Kiffende. Die allermeisten Verzeigten zahlen die 100 bis 1000 Franken halt ein. Und fertig. Doch was passiert im Detail, wenn man einen Einspruch gegen seinen Bussenbescheid erhebt? Wir dokumentieren einen Gang durch die Mühlen der Justiz.

Die Kontrolle

Am 12. August 2001 war L. auf einer Autofahrt durch den Aargau. Bei einer Routine-Verkehrskontrolle kontrollierten Polizisten auch L. Auf die Frage, ob er illegale Drogen besitze, rückte L. etwa zwei Gramm Haschisch sowie einen Joint heraus. Die Polizisten erstellten einen Rapport (ein Beispiel eines solchen findest du in unserer Rechtshilfebroschüre). L. unterschrieb das «Kurzbefragung/Erklärung» genannte Blatt.

Der Strafbefehl

Am 24. September 2001 wurde auf der Grundlage des Protokolls ein Strafbefehl ausgestellt und L. zugestellt. Darin wurde er zu einer Busse von 60 Franken verurteilt. Weiter sollte er Kosten in der Höhe von 40 Franken für die Staatsgebühr und 30 Franken als Kanzleigebühren zahlen. Was Total dann 130 Franken machte. Der Einzahlungsschein lag bei.

Die Einsprache

Am 16. Oktober 2001 reichte L. gegen diesen Strafbefehl eine Einsprache ein. Das bedeutet, er schrieb einen Brief an das Bezirksamt Brugg, das den Strafbefehl verfasst hatte. Er stellte folgende Anträge: Keine Busse, sondern Freispruch! Als Begründung für diese Anträge stellte er folgendes fest: - er habe sich kooperativ verhalten, habe das Material freiwillig abgegeben und nicht versucht, es zu verstecken (was möglich gewesen wäre) - die zwei Gramm seien eine geringfügige Menge - somit sei ein leichter Fall gegeben - sein Leumund sei gut und er wolle beruflich keine Probleme bekommen wegen einer Bestrafung

Die Notiz

Am 18. Oktober 2001 schrieb die zuständige Untersuchungsrichterin an L. eine Notiz. Er möge ihr doch telefonieren, bevor sie seine Einsprache behandle.

Das Telefon

Am 22. Oktober 2001 erreichte L. die Untersuchungsrichterin telefonisch. Dabei erklärte sie ihm, dass er keinerlei Chancen habe. Er solle seine Einsprache zurückziehen. Diese habe keinen Sinn – er sei ja sowieso schuldig. Doch L. blieb dabei: Er wollte eine Gerichtsverhandlung zu seinem Fall.

Die Verfügung

Am 14. November 2001 wurde in einer Verfügung geklärt, dass der Fall dem Bezirksgericht Brugg überwiesen wird. Am 12. Dezember 2001 wurden sowohl der zuständigen Staatsanwaltschaft wie auch L. eröffnet, dass sie Beweismittel innert zehn Tagen einreichen können.

Die Vorladung

Am 7. Januar 2002 dann kam die Vorladung. Darin wurde er aufgefordert am 22. Januar 2002, um 11 Uhr 15, als Angeklagter vor dem Bezirksgericht Brugg zu erscheinen.

Die Terminverschiebung

Am 11. Januar bat L. um eine Verschiebung des Prozesses, da er einen wichtigen Kurs besuchen wollte, zu dem er erstmals Zugang haben würde. Dem wurde am 16. Januar 2002 stattgegeben und das neue Datum für die Verhandlung festgelegt.

Das Bezirksgericht

Am 19. Februar 2002, um 8 Uhr 15, fand dann die Verhandlung statt. Neben dem Gerichtspräsidenten waren auch die Vizepräsidentin, zwei Bezirksrichterinnen und ein Bezirksrichter, sowie der Gerichtsschreiber Teil des Gerichtes. Als Anklägerin war die Staatsanwaltschaft vertreten und als Angeklagter natürlich L. Der Angeklagte wurde zur Person befragt, der Fall wurde nochmals aufgerollt. Der Angeklagte L. hatte sich gut angezogen und versuchte einen positiven Eindruck zu machen. Er wollte halt mal probieren, es sei ja wirklich überall erhältlich, er sei kein regelmässiger Konsument…

Das Urteil

Am 28. Februar 2002 folgte das Urteilsdispositiv. Dieses enthielt folgendes:

  • Der Angeklagte L. ist schuldig der Übertretung des Betäubungsmittelgesetzes
  • Gestützt auf Art. 19a Ziff. 1 und 2 BetmG wird von Strafe Umgang genommen
  • Das sichergestellte Haschisch und der Joint werden eingezogen und vernichtet
  • Die Verfahrenskosten muss der Angeklagte zahlen: Gerichtsgebühr 500 Franken, die Kanzleigebühr und die Auslagen von 161 Franken

Wenn er das vollständige Urteil bekommen wolle, würde das nochmals mehr kosten, wurde L. mitgeteilt.

Die Urteilsbegründung

Am 4. März 2002 beantragte L. dann, das vollständige Urteil zu bekommen. Zunächst stellt das Gericht einmal fest, dass all diese Diskussionen über eine Änderung des Umgangs mit Cannabis erst Diskussionen sind. «Da die in Kraft stehenden Strafbestimmungen für den Richter rechtlich verbindlich sind, hat im vorliegenden Verfahren die aktuelle Diskussion in den eidgenössischen Räten um die beabsichtigte Legalisierung weicher Drogen ausser Acht gelassen zu werden.» Grundsätzlich erkennt das Gericht L. für schuldig. Es ist Haschisch und eine «Haschischzigarette» bei ihm gefunden worden. Damit steht eine Schuld ausser Zweifel. Zu prüfen sei jedoch, ob wegen der doch kleinen gefundenen Menge wegen Art. 19b (geringfügige Menge) oder 19a Ziff. 2 (leichter Fall) keine Bestrafung erfolgen solle. Zur geringfügigen Menge meint das Bezirksgericht, dass damit nur eine Konsumeinheit gemeint sein könne. Beim Angeklagten seien aber gegen neun Konsumeinheiten gefunden worden, das sei keine geringfügige Menge mehr. Zum leichten Fall meint das Gericht dann: «Der Angeklagte hat eine ‘weiche’ Droge erworben, besessen und teilweise konsumiert. Es handelt sich bei ihm um einen im Übrigen gut beleumundeten Bürger, welcher (…) erstmals mit dem BetmG in Konflikt geriet (…). Der Angeklagte beschaffte sich die Drogen, um deren Wirkung auszuprobieren (…). Auch wenn die Motivation des unbescholtenen Angeklagten nicht ohne Weiteres nachvollzogen werden kann, ist das Gericht davon überzeugt, dass es sich (…) um einen einmaligen Vorfall in seinem Leben handelt». Der Angeklagte wird also schuldig gesprochen, aber es wird keine Strafe ausgesprochen. Die Kosten für das ganze Verfahren (jetzt inkl. Gericht) muss der Angeklagte, weil schuldig gesprochen, trotzdem bezahlen. Und wegen dem ausführlichen Urteil werden die Auslagen auf 319 Franken erhöht, so dass er jetzt 819 Franken zu bezahlen hat.

Zusammenfassung

Wer eine Busse wegen Kiffens erhält, kann Einspruch dagegen erheben. Der geschilderte Fall zeigt, dass es möglich ist, ohne Busse davonzukommen. Allerdings nur, wenn man nicht polizeilich auffällig war, sich vor Gericht auch gut verkaufen kann und das Gericht nicht aus völligen Hardlinern besteht. Die Busse fällt dann weg, aber die Nebenkosten gehen ins Geld. Am Anfang unseres Falles stand ein Bussenbescheid über 60 Franken plus Nebenkosten von 70 Franken. Am Ende ist die Busse zwar 0, die Nebenkosten aber auf 819 Franken plus Kanzleigebühr gestiegen… Wenn alle Verzeigten weiterziehen würden, dann gäbe das schon ein ziemliches Chaos auf den Gerichten. Deshalb versuchen sie auch alle Einsprecher zum Rückzug ihres Einspruchs zu bewegen. Solange nur einzelne eine Busse weiterziehen, verkraften das die Gerichte aber locker.

Unsere Strafbefehlsammlung braucht auch deine Bussenbescheide und Urteile

Vielen Dank an L. für das Zur-Verfügung-Stellen seines umfangreichen Dossiers! Unsere Sammlung mit Strafbefehlen, Urteilen, Einsprachen und anderen Dokumenten kannst auch du füllen. Wir sind sehr interessiert an deinen Unterlagen! Je mehr Fälle wir auswerten können, desto umfassender ist unser Überblick über die Repression gegen Kiffende in der Schweiz.

Bitte sende deine Dokumente an Dokumente oder nimm mit uns Kontakt auf.

Zuletzt geändert: 2011/09/11 10:42

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